Mal wieder ein sehr subjektiv ausgesuchter Rückblick aufs Frühjahr 1999. Es geht um Baseball vs. Fußball, um Sport vs. Kultur, um Europa vs. Amerika, das heißt letztlich auch um Herbert Grönemeyer vs. Simon&Garfunkel. Ein Text aus der Jungle World vom 21. April 1999.
Making a Difference
von martin krauss
Einer der wenigen gelungenen Versuche, die Bedeutung, die der Baseball in den USA besitzt, auf hiesige Verhältnisse zu übertragen, gelang dem taz-Journalisten Thomas Winkler, als er die Relevanz des Rekordes von 70 Home Runs in einer Saison, den im letzten Jahr Mark McGwire von den St. Louis Cardinals aufstellte, so beschrieb: „Gerd Müller. 1971/72. 40. Was sagt uns das?“
Alle anderen Versuche gehen ins Leere, wie überhaupt im deutschen Kulturraum von kaum einem gelungenen Versuch zu berichten ist, den Sport als das darzustellen, was er ist. Wenn beispielsweise Herbert Grönemeyer singt, der VfL Bochum mache mit ’nem Doppelpaß / jeden Gegner naß“, dann reimt sich das zwar, die Phrase jemanden naßmachenist jedoch eine etwas veraltete Sportsprache. Und mit der Spielweise des VfL Bochum hat das Ganze überhaupt nichts zu tun dem Fußball wird Grönemeyer damit nicht gerecht.
Das gilt auch, wenn jemand dichtete: „Wo bist du gewesen, Max Schmeling? Eine Nation wendet Dir ihre einsamen Augen zu.“ Eine solche Liedzeile würde zu Recht ungehört verhallen.
Anders ist es aber, wenn es heißt: „Where have you gone, Joe DiMaggio? / A nation turns its lonely eyes to you / What’s that you say Mrs. Robinson / Joltin‘ Joe has left and gone away.“ So heißt es in „Mrs Robinson“ von Simon and Garfunkel, und Paul Simon war es auch, der auf der Kommentarseite der „New York Times“ den Nachruf auf Joe DiMaggio schreiben durfte, als dieser am 8. März 1999 verstarb. Im Sportteil erschienen am gleichen Tag übrigens sieben Beiträge über das Leben des Sporthelden. Sie hießen: „Joe DiMaggio, the Yankee Clipper and an American Icon, Dies at 84“, „Sports of The Times: His Privacy, Pride, Ego and Dignity“, „Sports of The Times: DiMaggio Left a Mark in the Sands, „DiMaggio’s 56: A Streak for the Ages“, „Contemporaries Remember Him as the Best Baseball Had to Offer“, „Today’s Yankees Mourn a Timeless Hero“ und „Coast Friends Recall DiMaggio as a Loner“.
In seinem Nachruf schreibt Paul Simon, man hätte ihm gesagt, DiMaggio sei über seinen Song verärgert. Aber eines Tages sah er ihn zufällig in einem italienischen Restaurant. „Ich ging hin und stellte mich als der Komponist vor. Ich hätte nicht beunruhigt sein müssen. Er war sehr freundlich und lud mich ein, mich zu ihm zu setzen, worauf wir sofort in die Unterhaltung über das einzige Thema verfielen, das wir gemeinsam haben. ‚Was ich nicht verstehe‘, sagte er, ‚ist warum Sie fragen, wo ich hingegangen bin. Ich hatte damals gerade einen Werbevertrag mit einer Kaffeefirma, ich bin weiterhin der Sprecher der Bowery Savings Bank, und ich war also nirgendwohin gegangen.‘ Ich sagte ihm, daß die Zeilen nicht wörtlich gemeint sind, daß ich ihn als einen American Hero ansehe und daß echte Helden halt selten seien. Er akzeptierte diese Erklärung und dankte mir. Wir gaben uns die Hände und wünschten uns gegenseitig einen schönen Abend.“
Joe DiMaggio, der Ex-Ehemann von Marilyn Monroe, ist also tot. Sein Team, für das er gespielt hat, mit dem er berühmt wurde und dem er seinen Spitznamen „The Yankee Clipper“ verdankt, die New York Yankees, wurden wenige Monate vor seinem Tod noch Gewinner der World Series, mit dem, wie die Fachpresse schrieb, besten Teams der Baseballgeschichte.
Der Besitzer der Yankees, der egozentrische Millionär George Steinbrenner, erklärte damals, der Titel seit auch für den schon damals im Krankenhaus liegenden DiMaggio herausgespielt worden. „Wir wollten für Joe und Darryl siegen“, erklärte Steinbrenner, und verwies auch auf den an Dickdarmkrebs erkrankten Außendfeldspieler Darryl Strawberry, „das ist das Motto der Yankee-Familie: einer für alle, alle für einen.“
Dieser Darryl Strawberry ist in der vergangenen Woche, am 15. April, wegen Drogenbesitzes und Anstiftung zur Prostitution verhaftet worden. Seinen Krebs hatte er überwunden, und wegen der Unterstützung durch George Steinbrenner blieb er auch im Team. Während vor wenigen Wochen die neue Saison begann, trainierte Darryl Strawberry im Minor-League-Camp der Yankees in Tampa, Florida. Dort sprach er eine Undercover-Agentin der Polizei an und bot ihr 50 Dollar für Sex, bei einer Untersuchung wurden 0,3 Gramm Kokain, eingewickelt in einen Zwanzig-Dollar-Schein gefunden. Wenn der 37jährige Strawberry Pech hat, könnte die Aktion das Ende seiner Karriere bedeuten, aber noch hält George Steinbrenner zu ihm.
Darryl Strawberry ist mit der Bedeutung eines Joe DiMaggio nicht zu vergleichen. Aber Darryl Strawberry gehörte, zumindest zu Beginn der Saison, zu dem Team der New York Yankees, das 1998 mit 125 Siegen die World Series holte, das Team, das ohne die ganz großen Stars den besten Baseball bot, der denkbar war und das sich durchsetzte gegen Stars wie St. Louis‘ Mark McGwire mit seinem sagenhaften Home-Run-Rekord, dicht gefolgt von Sammy Sosa von den Chicago Cubs, der die Saison mit 66 Home Runs abschloß.
Gegen diese sensationellen Könner setzten sich die Yankees als Kollektiv durch, zusammengestellt von Joe Torre, dem Chefcoach, der zu Beginn dieser Saison an Prostatakrebs erkrankte und aussetzen muß. Ersetzt wird er übergangsweise von Don Zimmer, von dem die „Washington Post“ vermutet, er habe in seiner 51. Baseball-Saison vielleicht schon zu viele Dekaden bei Clubs verbracht, in denen er die Yankees hassen mußte.
Bislang sind die Yankees gut in die Saison gestartet, sie führen in der American League, Eastern Division, die Tabelle an. Ein Heimspiel im legendären Yankee-Stadion aber haben sie verloren, und das war ein 7:9 gegen die Baltimore Orioles. Diese wiederum sind eigentlich in einer tiefen sportlichen Krise. Millionen wurden reingepumpt, aber bislang holte das Team etwa ein Drittel Siege und zwei Drittel Niederlagen. Die „Washington Post“ prognostiziert, daß „dieses Team, so groß die Gehaltsliste für die Spieler auch sein mag, keine realistische Chance für die World Series hat.“
Gegen diese Orioles verloren die Yankees also, nachdem sie zunächst ein Spiel gewonnen hatten, und die Niederlage besitzt einen besonders schmerzlichen Aspekt.
Die Orioles waren im März dieses Jahres das erste US-Profi-Baseballteam, das in Havanna gegen die kubanische Nationalmannschaft antrat. Und die Orioles gewannen dieses symbolträchtige Spiel, bei dem alle Spieler von Fidel Castro persönlich begrüßt wurden, mit 3:2.
In einem theoretischen Quervergleich verloren die Yankees in ihrem legendären Stadion in der New Yorker Bronx gegen die Kuba-Bezwinger. Doch eine solche Bedeutung will man in New York genausowenig akzeptieren wie die US-Regierung in ihm einen Akt der Entspannungspolitik sehen möchte.
Daß das Havanna-Spiel eine neue Phase der Beziehungen zwischen Kuba und den USA einleitet, glauben lediglich die kubanische Regierung und die Exil-Kubaner, die überwiegend in Miami leben. Letztere zogen im „Miami Herald“ Vergleiche zur Ping-Pong-Politik, die die USA 1971 betrieben, als sie eine Tischtennis-Team in die Volksrepublik China entsandten, um so diplomatische Kontakte vorzubereiten. 1975 gab es ähnliche Pläne vom damaligen Außenminister Henry Kissinger, mit Baseball „das Eis in den Beziehungen mit Kuba zu brechen“. Dazu kam es damals nicht, und heute wollen es die Exil-Kubaner auch verhindern.
Ganz andere Erinnerungen offenbarte hingegen Fidel Castro bei dem Gastspiel der Orioloes. „Er erzählte mir, daß Havanna schon immer eine gute Baseball-Stadt war“, berichtete Orioles Chefcoach Ray Miller über seine Unterredung mit Castro.
Der wiederum hat damit, vielleicht unfreiwillig, an eine andere Tradition der Major League Baseball erinnert, eine, die viel mit Joe DiMaggio und dem Kult um den großen Baseball der frühen Jahre zu tun hat.
In Ernest Hemingways „The Old Man and the Sea“ berichtet der alte Mann dem jungen, der bei ihm das Fischen lernt, von den Winterquartieren, die die Baseballprofis aus Kuba abhielten, um sich ein paar Dollar mehr zu verdienen. Kuba war auch im Sport faktisch eine Kolonie der Vereinigten Staaten. Im Puff von Miami wurde auch Baseball gespielt, und wie die Begeisterung funktionierte, beschreibt Hemingway.
„‚Erzähl mir vom Baseball‘, fragte ihn der Junge.
‚In der American League sind das die Yankees, wie ich schon mal sagte‘, erzählte der alte Mann glücklich.
‚Sie haben heute verloren‘, sagte der Junge.
‚Das hat nichts zu bedeuten. Der große DiMaggio ist wieder der alte.‘
‚Sie haben noch andere Spieler im Team.‘
‚Natürlich. But he makes the difference.'“
Aus: Jungle World, Nr. 17/99 vom 21. April 1999