VOR ZEHN JAHREN: 25 jahre sparwassertor

„Vor zehn Jahren: 25 Jahre Sparwassertor“ bedeutet diesmal: Dieser Tage begeht, wer so etwas begehen möchte, den 35-jährigen Einschlag jenes Balles, den Jürgen Sparwasser im Juni 1974 getreten hatte, im Netz des, wie man damals noch sagte: Hamburger Volksparkstadions.  Vor zehn Jahren untersuchte ich im Freitag, genauer: in der damaligen Kolumne „Sportplatz“, wieviel Vergleichbarkeit es zwischen Lothar Matthäus und Jürgen Sparwasser gibt: Ein Text vom 25. Juni 1999.

Sportplatz: Das Sparwasser-Tor

von martin krauss 

Am 22. Juni 1974 war Lothar Matthäus dreizehn Jahre alt und also zu jung, um in der deutschen Nationalmannschaft, westlicherseits, mitkicken zu dürfen. Daher wurde die Abwehr im Wesentlichen von Franz Beckenbauer, Berti Vogts und Horst-Dieter Höttges (68. für Hans Georg Schwarzenbeck) gebildet. Irgendwie kann man auch Paul Breitner noch mitzählen, aber in jenem Moment, kurz nach 21.00 Uhr im Hamburger Volksparkstadion, bestand die Abwehr der DFB-Elf nur noch aus dem ausgespielten Höttges, dem ausgespielten Vogts und dem am Boden liegenden Torwart Sepp Maier.

Jener Moment war eben jener, der umgangssprachlich nur noch „das Sparwasser-Tor“ heißt. Das 1:0 der DDR über, wie es westlicherseits immer hieß, Deutschland.

Dieses Tor hat Jürgen Sparwasser berühmt gemacht. Daß er wenige Wochen zuvor mit seinem FC Magdeburg Europapokalsieger wurde – egal. Daß er mit der DDR-Nationalelf 1972 olympisches Bronze holte – uninteressant. Daß er 271 Oberligaspiele mit 112 Toren sowie 53 Länderspiele mit 15 Toren absolvierte – gähn.

Nur eines seiner vielen Tore machte ihn wirklich berühmt. Und das kam so: Jürgen Sparwasser erlief einen weiten und schwer zu nehmenden Paß von Erich Hamann, legte sich den Ball mit dem Kopf vor, überrannte die vorgenannten Höttges und Vogts, schoß mit rechts und über Maier.

Drin war er.

So ein Moment war das.

Wie die Momente, als Bob Beamon und Ulrike Meyfarth mit jeweils einem Satz berühmt wurden. Oder Tracy Chapman und Joe Cocker mit jeweils einem Konzert. Oder mit dem Stehen auf jeweils einem metallen-eckigen Gegenstand Boris „Panzer“ Jelzin und Jo „Container“ Leinen.

Solche Momente eben.

Lothar Matthäus hat so etwas auch schon mal erlebt, beinahe jedenfalls. Nach dem Spiel der DFB-Elf bei der Fußball-WM 1990 gegen Jugoslawien wurde er Weltfußballer des Jahres, und Rekordfußballnationalspieler ist er ja auch mittlerweile. Berühmter aber wäre er, hätte er nach dem Jugoslawienspiel oder wenigstens nach dem gewonnenen Finale den Lafontaine gemacht, wie Manfred Krug sagen würde.

Zum Heldentum gehört halt auch ein entsprechender Abgang. Der läßt sich nicht planen, aber wer Stil hat, wird ihn schon finden.

Bob Beamon und Ulrike Meyfarth sportelten noch eine Weile weiter, Meyfarth immerhin mit einem zweiten Olympiasieg, und beide leben heute relativ unbehelligt vor sich hin. Tracy Chapman und Joe Cocker werden bis heute als Weltstars herumgereicht. Boris Jelzin und Jo Leinen sind heute bekanntlich beide sehr wichtig und schütteln manchmal sogar Gerhard Schröder die Hand. Lothar Matthäus verschießt heutzutage Elfmeter, und Jürgen Sparwasser ist Präsident der Vereinigung der Vertragsspieler.

Sparwasser hat das beste draus gemacht. Der Kollege Flankengeber von damals, Erich Hamann, jobbt heute als Sozialpädagoge in Eberswalde bei Berlin. Die Herren Gegner von damals sind, im Fall des Horst-Dieter Höttges, Handelsvertreter in Achim bei Bremen, oder, im Fall des Berti Vogts, arbeitslos in Kleinenbroich bei Korschenbroich und ziemlich schwer vermittelbar.

Es hat Sparwasser auch nicht geschadet, daß er in den Jahren, die seiner Heldentat folgten, in einer Gesellschaft lebte, die ihn mit Werbeträgerofferten eher nicht überhäufte. Erst 1990 erhielt er seinen ersten Auftrag: Während der WM trat er im Deutschen Fernsehfunk im „Ford“-Halbzeitstudio auf, um tragischerweise mitzuwirken an der Relativierung seines welthistorischen Moments. „Denn die Revanche für den den 22. Juni 1974“, schreibt der Politologe Klaus Hansen, „fand am 3. Oktober 1990 statt: Deutschland eins, DDR null.“ Auch das „Ford“-Halbzeitstudion hat diese Revanche ermöglicht.

„Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?“ heißt ein Buch, das die geschätzte Kollegin Elke Wittich vorgelegt hat, und in dem sich allerlei Menschen, unter anderem der soeben daraus zitierte Klaus Hansen, äußern, wo sie waren, als gerade mal kein Kennedy erschossen wurde und keine Mauer fiel.

Aber wer fragt schon, wo man war, als Lothar Matthäus seine hundert-ich-kann’s-mir-nicht-merken Länderspiele absolvierte. Das ist halt der Unterschied.

 

Aus: Freitag Nr. 26/99 vom 25. Juni 1999

4 Responses to “VOR ZEHN JAHREN: 25 jahre sparwassertor”

  1. […] VOR ZEHN JAHREN: 25 jahre sparwassertor kraussblog – PeopleRank: 5 – Vor 7 Stunden …Berti Vogts und Horst-Dieter Höttges (68. für Hans Georg Schwarzenbeck) gebildet. Irgendwie kann man auch Paul Breitner noch mitzählen, aber in jenem Moment, kurz nach 21.00 Uhr im Hamburger Volksparkstadion, bestand die Abwehr der DFB-Elf nur noch… Namen genannt : Boris Jelzin  Franz Beckenbauer  Gerhard Schröder  Joe Cocker  Lothar Matthäus  Manfred Krug  Sepp Maier  Tracy Chapman  Ulrike Meyfarth  + voten […]

  2. Rainer Kühn sagt:

    Ja, so isses. Ich saß als Dreizehnjähriger vorm Bildschirm, mit Vater, Mutter, mehr, sah meine Verwandtschaft aus der DDR siegen und meine Helden (Katsche Schwarzenbeck, Eisenfuß Höttges) verlieren. – Neben Bayern vs Atletico und VfL Osnabrück vs Röchling Völklingen mein meist erinnertes Fußballspiel.

  3. […] kraussblog » Blog Archive » VOR ZEHN JAHREN: 25 jahre sparwassertor "Zum Heldentum gehört halt auch ein entsprechender Abgang. Der läßt sich nicht planen, aber wer Stil hat, wird ihn schon finden." (tags: geschichte ddr matthäus) […]

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