Im Sonntags-Tagesspiegel findet sich ein Bericht über das wissenschaftliche Hearing Translating Doping: Im Zweifel für die Angeklagte, das am Freitag an der TU Berlin stattfand. Und wo unter anderem ich Thesen zur Diskussion stellte.
Mein schriftlich reingereichtes Thesenpapier stelle ich mal hier ins Netz (auch wenn es sich von den mündlich vorgetragenen Thesen deutlich unterscheidet)
Vier Thesen zum Thema Doping und Antidoping. Von Martin Krauß
1. Im Antidopingdiskurs wird stets ein natürlicher, sauberer, reiner Körper gefordert, der eine Leistung erbringen soll, die von der Gesellschaft als eine menschliche wahrgenommen und gewürdigt wird. In dieser Forderung schwingt ein ideologisch bedenkliches Körperbild mit, das jede Vergesellschaftung des Körpers leugnet, ahistorisch ist und sich in eine bedenkliche Nähe zu den Körperbildern begibt, wie sie Leni Riefenstahl (in ihrem Olympiafilm) oder Arno Breker (in seinen Sportlerstatuen) inszeniert haben. Demgegenüber behaupte ich, dass der Mensch gerade dadurch zum Menschen wurde, weil er sich nicht mehr tierisch-natürlich ernährt, sondern von Menschenhand bereitete, in industrieller Arbeitsteilung erstellte Nahrung zu sich nimmt und andere, auch chemische Essenzen zum Vergnügen, zur Leistungssteigerung oder aus anderen Motiven nimmt mithin jeder moderne Mensch im Sinne des Antidopingsdiskurses als gedopt zu gelten hat.
2. Um das Dopingverbot durchzusetzen, bedarf es Kontrollen, die in der Realität aus Urin- und aus Blutproben bestehen. Während die Praxis der Blutprobenentnahme eine gewagte Außerkraftsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit bedeutet, die mit der Freiwilligkeit der Ausübung des Leistungssports begründet wird (bei Strafe allerdings des Verbots der Berufsausübung), so ist die Praxis der Urinprobenentnahme unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte gar nicht mehr zu tolerieren: Die Proben werden ohne Anmeldung vorgenommen, die Sportler müssen stets vorab mitteilen, wo sie sich wie lange aufhalten werden und an diesen Orten für Kontrolleure erreichbar sein. Bei den Kontrollen muss der Kontrolleur Sichtkontakt zum Geschlechtsteil des Sportlers haben: bei Männern kann das auch über einen Toilettenspiegel passieren, bei Frauen schreiben die Durchführungsbestimmungen eine Knie-an-Knie-Position von Kontrolleurin und Sportlerin vor, die Unterhose der Sportlerin muss über die Knie hinuntergezogen sein. Von den Leichtathletik-WM 2007 in Osaka berichteten Sportlerinnen, dass mit Hilfe von Spiegeln ihre Scheide ausgeleuchtet worden sei. Dass diese Verletzung von Intimsphäre und Schamgefühl durch ein höheres Recht der Gesellschaft auf einen dopingfreien Sport zu legitimieren wäre, bestreite ich. Hinzu kommt noch, dass die entwürdigenden Prozeduren gegen alle Sportler angewendet werden, weil sie unter einem Generalverdacht stehen. Es wird nicht aufgrund eines, wie auch immer begründeten Verdachtes hin ermittelt, sondern es trifft alle Sportler gleichermaßen.
3. Wird ein Sportler des Dopings überführt, wird er gesperrt. Handelt es sich um einen Profisportler, liegt hier ein Berufsverbot vor. Das kann von wenigen Wochen über einige Jahre bis hin zu lebenslänglich reichen. Dass Sportverbände dies dürfen, nämlich das grundgesetzlich verbürgte Recht auf freie Berufsausübung zu beschneiden, ist hochgradig fragwürdig. In den wenigen Fällen, in denen in dieser Gesellschaft Berufsverbote rechtlich möglich sind, etwa bei Ärzten oder Anwälten, werden diese nur nach strengen und sehr transparenten Regeln durchgesetzt. Der Sport entzieht sich einer solchen Transparenz. Auch das ist nicht hinnehmbar.
4. Der Antidopingdiskurs, wie er gerade im deutschen Sportjournalismus gepflegt wird, kommt in der Attitüde desjenigen daher, der endlich die Hintergründe des modernen Sports beleuchtet, der das Zustandekommen von als großartig, gar übermenschlich wahrgenommenen Leistungen zu erklären vermag. Demgegenüber glaube ich, dass Doping viel zu oft und viel zu vereinfachend zur Erklärung von so etwas Komplexem wie sportlicher Leistung benutzt wird.