Archive for the ‘doping’ Category

translating doping (3)

Mittwoch, Februar 3rd, 2010

Bei den Philosophen der TU Berlin wird – im Verbund mit den Sportwissenschaftlern der HU Berlin – zum Thema „Translating Doping – Doping übersetzen“ geforscht. Es geht einerseits darum, das rund um das sportliche Riesenthema Doping akkumulierte Wissen für andere gesellschaftliche Bereiche aufzuschließen, quasi zu übersetzen, und andererseits darum, Erkenntnisse und Debatten, die außerhalb des Sports geführt werden, etwa rund um das Thema „Neuro-Enhancement“, in die Sport-Doping-Diskussion einzubringen.

Zu dem Forschungsprojekt findet sich in der heutigen taz ein Artikel von mir: Dolmetscher für Doping. (In der Online-Ausgabe der taz werden die Texte eigenständig aufbereitet und präsentiert, freilich nicht ein zweites Mal honoriert – hier lautet die Überschrift Das optimierte Gehirn.)

Links zum Thema: Website des Projekts Translating Doping, Wissenschaftler-Manifest zu Neuro-Enhancement, Darstellung der Diskussion zu Neuro-Enhancement in der Zeit, und eine Kritik des Manifests in der FAZ.

translating doping (2)

Sonntag, Oktober 18th, 2009

Im Sonntags-Tagesspiegel findet sich ein Bericht über das wissenschaftliche Hearing „Translating Doping“: Im Zweifel für die Angeklagte, das am Freitag an der TU Berlin stattfand. Und wo unter anderem ich Thesen zur Diskussion stellte.

Mein schriftlich reingereichtes Thesenpapier stelle ich mal hier ins Netz (auch wenn es sich von den mündlich vorgetragenen Thesen deutlich unterscheidet)

 

Vier Thesen zum Thema Doping und Antidoping. Von Martin Krauß

1. Im Antidopingdiskurs wird stets ein natürlicher, sauberer, reiner Körper gefordert, der eine Leistung erbringen soll, die von der Gesellschaft als eine menschliche wahrgenommen und gewürdigt wird. In dieser Forderung schwingt ein ideologisch bedenkliches Körperbild mit, das jede Vergesellschaftung des Körpers leugnet, ahistorisch ist und sich in eine bedenkliche Nähe zu den Körperbildern begibt, wie sie Leni Riefenstahl (in ihrem Olympiafilm) oder Arno Breker (in seinen Sportlerstatuen) inszeniert haben. Demgegenüber behaupte ich, dass der Mensch gerade dadurch zum Menschen wurde, weil er sich nicht mehr tierisch-natürlich ernährt, sondern von Menschenhand bereitete, in industrieller Arbeitsteilung erstellte Nahrung zu sich nimmt und andere, auch chemische Essenzen zum Vergnügen, zur Leistungssteigerung oder aus anderen Motiven nimmt – mithin jeder moderne Mensch im Sinne des Antidopingsdiskurses als gedopt zu gelten hat.

2. Um das Dopingverbot durchzusetzen, bedarf es Kontrollen, die in der Realität aus Urin- und aus Blutproben bestehen. Während die Praxis der Blutprobenentnahme eine gewagte Außerkraftsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit bedeutet, die mit der Freiwilligkeit der Ausübung des Leistungssports begründet wird (bei Strafe allerdings des Verbots der Berufsausübung), so ist die Praxis der Urinprobenentnahme unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte gar nicht mehr zu tolerieren: Die Proben werden ohne Anmeldung vorgenommen, die Sportler müssen stets vorab mitteilen, wo sie sich wie lange aufhalten werden und an diesen Orten für Kontrolleure erreichbar sein. Bei den Kontrollen muss der Kontrolleur Sichtkontakt zum Geschlechtsteil des Sportlers haben: bei Männern kann das auch über einen Toilettenspiegel passieren, bei Frauen schreiben die Durchführungsbestimmungen eine Knie-an-Knie-Position von Kontrolleurin und Sportlerin vor, die Unterhose der Sportlerin muss über die Knie hinuntergezogen sein. Von den Leichtathletik-WM 2007 in Osaka berichteten Sportlerinnen, dass mit Hilfe von Spiegeln ihre Scheide ausgeleuchtet worden sei. Dass diese Verletzung von Intimsphäre und Schamgefühl durch ein höheres Recht der Gesellschaft auf einen dopingfreien Sport zu legitimieren wäre, bestreite ich. Hinzu kommt noch, dass die entwürdigenden Prozeduren gegen alle Sportler angewendet  werden, weil sie unter einem Generalverdacht stehen. Es wird nicht aufgrund eines, wie auch immer begründeten Verdachtes hin ermittelt, sondern es trifft alle Sportler gleichermaßen.

3. Wird ein Sportler des Dopings überführt, wird er gesperrt. Handelt es sich um einen Profisportler, liegt hier ein Berufsverbot vor. Das kann von wenigen Wochen über einige Jahre bis hin zu lebenslänglich reichen. Dass Sportverbände dies dürfen, nämlich das grundgesetzlich verbürgte Recht auf freie Berufsausübung zu beschneiden, ist hochgradig fragwürdig. In den wenigen Fällen, in denen in dieser Gesellschaft Berufsverbote rechtlich möglich sind, etwa bei Ärzten oder Anwälten, werden diese nur nach strengen und sehr transparenten Regeln durchgesetzt. Der Sport entzieht sich einer solchen Transparenz. Auch das ist nicht hinnehmbar.

4. Der Antidopingdiskurs, wie er gerade im deutschen Sportjournalismus gepflegt wird, kommt in der Attitüde desjenigen daher, der endlich die Hintergründe des modernen Sports beleuchtet, der das Zustandekommen von als großartig, gar übermenschlich wahrgenommenen Leistungen zu erklären vermag. Demgegenüber glaube ich, dass Doping viel zu oft und viel zu vereinfachend zur Erklärung von so etwas Komplexem wie sportlicher Leistung benutzt wird.

translating doping

Mittwoch, Oktober 14th, 2009

Translating Doping heißt ein Forschungsprojekt von TU Berlin und Humboldt-Universität. In dessen Rahmen findet am Freitag, 16. November 2009, in der TU (10623 Berlin, Straße des 17. Juni 135, H 3005) ein öffentliches Hearing statt. Zu dessen zweiten Podium, das um 17.30 Uhr beginnt, bin auch ich eingeladen.

In der Einladung des Projekts heißt es: „Da die Komplexität und vor allem die Schwierigkeiten des Dopingproblems maßgeblich auf einer Verrechtlichung des Anti-Doping-Diskurses beruhen, nehmen wir als umfassende Problematik das Verhältnis von Recht und Moral in den Blick. In der Podiumsdiskussion sollen die für die gesamte Moderne konstitutiven Bestimmungen des Rechts und der Moral in Bezug auf die Dopingthematik erörtert werden. Konkret gibt es in diesem Bereich zahlreiche Probleme, etwa dadurch dass bestimmte Medikamente verboten sind, andere aber nicht oder noch nicht. Jedenfalls ist nicht immer die Leistungssteigerung oder eine vermutete Schädigung des Athleten ausschlaggebend. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei den Anti-Dopingbestimmungen um positiv gesetztes Recht handelt, das partiell und in konkreten Fällen von der alltäglichen moralischen Intuition abgekoppelt ist. Dazu trägt sicherlich auch das so genannte Enhancement bei, die Verbesserung kognitiver Leistungen und emotiver Befindlichkeiten bei Gesunden. Dieser Befund eines Auseinanderscherens von moralischen und rechtlichen Normen betrifft nicht nur das Doping, sondern ist für die gesamte Moderne charakteristisch.“

Das ausführliche Programm der Veranstaltung findet sich hier.

doping, doping, fußball

Mittwoch, September 2nd, 2009

Im Blog catenaccio, das sich vor allem mit Fußball und speziell dort Bayer Leverkusen beschäftigt und dem also abseitige Themen nicht fremd sind, findet sich ein Interview mit mir zur Thema Doping und Dopingfreigabe. Überschrift ganz prosaisch: Interview mit Martin Krauß.

Mir scheint, dass ein paar der wichtigen Fragen, die sonst gerne ausgeblendet bleiben, in dem Gespräch angeschnitten wurden. Ob meine – zum Teil zugegeben halbfertigen – Antworten überzeugen, weiß ich nicht, und tief in meinem Innersten sollen sie es auch nicht: Es geht ja eher darum, auf einige sehr problematische Tendenzen aufmerksam zu machen, die sich bei den wüstesten Antidopingkämpfern finden – und so auch ein paar Kollegen darauf aufmerksam zu machen, in welch trüben ideologischem Gewässer sie sich tummeln.

Minikostprobe:

Frage: Der Eindruck entsteht, dass sich etwas ändern muss. Müssen wir uns ändern oder der Sport? Wie und wo kann man das Übel anpacken? 

Antwort: Das weiß ich nicht. Mir selbst gefällt Sport weiterhin, besonders der große Sport, der Weltklasseleistungen produziert. Und weder das Wissen, dass da Geld bezahlt wird, noch das Wissen, dass da mit Pharmazie oder anderen chemischen Produkten gearbeitet wird, noch das Wissen, dass im Trainingsalltag mitunter politisch sehr unkorrekte Sätze formuliert werden, bringt mich von meiner Liebe zu großem Sport weg. Wer aber sagt, er wolle aus diesem oder jenem oder doch diesem Grund vom Sport nichts mehr wissen, der soll dies für sich so entscheiden. Das ist völlig okay. Wer will, kann ja auch die Rockmusik hassen, weil da Drogen im Spiel sind (habe ich zumindest gerüchteweise gehört).

Parallel zu dem Interview mit mir hat Jens Peters, der Betreiber von catenaccio, auch den Frankfurter Publizisten Matthias Heitmann befragt, der wesentlich strikter (und vielleicht auch, so es das Wort gibt: neoliberaler) als ich eine Freigabe fordert.

wann ist der mensch ein mensch?

Sonntag, August 30th, 2009

Gerade erst gelesen: ein sehr kluges Essay von Janne Mende in der Jungle World über Behindertenfreundlich- und -feindlichkeit in der Leichtathletik am Beispiel von Oscar Pistorius, dem Läufer mit den Prothesen. Dazu diskursive Annäherungen an aktuelle Dopingunterstellungsdebatten (Usain Bolt) und Habe-gefälligst-ein-von-uns-akzeptiertes-Geschlecht!-Debatten (Caster Semenya): Zu schnell für die WM – ein sehr lesenswerter Text.

VOR ZEHN JAHREN: robert musil und die überlebenschancen der tour de france

Mittwoch, Juli 8th, 2009

Vor zehn Jahren, 1999, gewann Lance Armstrong erstmals die Tour de France. Im Jahr zuvor, 1998, sprach man von einer Skandaltour, gewonnen hatte letztlich Marco Pantani, und ob die Tour noch eine Zukunft hatte, war damals noch fraglicher als heute. Wohl aber wusste man sicher, dass das Jahrhundert keine Zukunft mehr hatte, und das war doch ein „Jahrhundert des Sports“ gewesen. Eine Glosse aus der Jungle World vom 14. Juli 1999. (Jüngst las ich, wie jemand aus dem Umstand, dass der 97er-Sieger mit Nachnamen Ullrich, die Hauptfigur von Musils „Mann ohne Eigenschaften“ hingegen mit Vornamen Ulrich heißt, einen Zusammenhang herstellte – Details habe ich vergessen, aber damit habe ich nichts zu tun.)

 

Einfach Sportler verhaften: Dann bleibt die Ware knapp!

Mühsal mit Musil

von martin krauss

In Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ sagt der Protagonist Ulrich, „daß Gott, aus Gründen, die uns noch unbekannt sind, ein Zeitalter der Körperkultur heraufzuführen scheint“.

Die hiesige Boulevardzeitung „B.Z.“ hat Musils Gedanken aufgegriffen und spricht von einem „Jahrhundert des Sports“, das zu Ende geht. Das hat doch wohl was zu bedeuten.

Einerseits nämlich eine zu Musils Zeit kluge und weitsichtige Beobachtung, die mittlerweile, im Jahr 1999, eher banal wirkt: Sport prägt diese Zeit.

Andererseits aber enthält ja der Satz auch die Prognose, daß das nächste, das 21. Jahrhundert nicht mehr das des Sportes sein wird. Das wäre zwar hinsichtlich der Zukunft meines Berufes unschön. (Und was soll ich in der Glotze gucken, wenn ich dann arbeitslos zu Hause hocke?) Aber falsch ist es ja deswegen nicht.

Im Kapitalismus – das habe ich der „FAZ“ und dem „Spiegel“ entnommen, es ist also durchrecherchiert – werden wir wohl auch nach der Jahrhundertwende weiterleben müssen. Auch das hat was zu bedeuten.

Zum Beispiel, daß die volkswirtschaftliche Erkenntnis, wonach ein zu großes Angebot bei zu geringer Nachfrage die Preise kaputt macht, weiter ihre Richtigkeit haben wird.

Früher gab es die große Tour de France, daneben eigentlich nichts, bestenfalls noch den Giro d’Italia und die Vuelta, die durch Spanien führte. Ein knappes, aber um so teureres und um so wertgeschätzteres Angebot. Heute wird um die Schweiz geradelt, um Mallorca auch, die Friedensfahrt ist für Profis offen, und zu allem Überfluß gibt es noch die Deutschland-Rundfahrt.

Vergegenwärtigt man sich noch die vielen WTA- und ATP-Tennisturniere, die etwa zehn Schwergewichtsboxweltmeister oder die Fußball-Champions-League, zu der sich auch ein Ligaviertplazierter qualifzieren darf, so er denn aus Deutschland kommt, merkt man, daß im Sport eine Übersättigung des Marktes stattfindet.

Da droht das Ende, und die Preise gehen kaputt.

1987 etwa war es für Berlin, damals West-Berlin, ein teures Spektakel, den Tourstart zu sich zu holen. Vor ein paar Jahren konnte sich schon Koblenz leisten, eine Tour-Etappe zu beherbergen.

So sehr sanken die Preise. Und da ist ja wohl der Staat gefordert.

Der für die Tour zuständige französische Staat handelte im letzten Jahr auf Geheiß der kommunistischen Sportministerin sofort. (Für Deutschland saß übrigens der spätere Verteidigungsminister Scharping im Begleitauto – auch hier war der Staat auf sofortige Intervention vorbereitet.) Reihenweise wurden Fahrer verhaftet. Und der Sieger Marco Pantani kam zwar ungeschoren davon, wurde aber erst in diesem Jahr festgenommen, als der Giro d’Italia kurz vor dem Abschluß stand und er das Gesamtklassement anführte.

Trotz der aus Sicht kommunistischer Sportpolitik wohl als Panne zu verstehenden Nicht-Verhaftung des Italieners bewirkte die Verknappung des Angebots der Weltklasseradfahrer doch das, was der Staat als ideeller Gesamtkapitalist bewirken wollte: Die Ware Radsport erzielte wieder Preise, die den Anbieter freuen.

Nur durch diese massive Staatsintervention, die darin besteht, Sportler einfach während des Wettkampfes zu verhaften, dürfte gewährleistet sein, daß der Sport auch das 21. Jahrhundert prägen wird.

Musil vermutete noch, „daß Gott, aus Gründen, die uns noch unbekannt sind, ein Zeitalter der Körperkultur heraufzuführen“ schien. Was die Gründe angeht, wissen wir mittlerweile mehr: Weil der Staat sich so schön fürsorglich ums Funktionieren des Marktes kümmert, wird der Sport weiter existieren.

Wenn das nicht beruhigt.

 

Aus: Jungle World Nr. 29/99 vom 14. Juli 1999 

doping, kontrollen, menschenwürde

Freitag, Mai 15th, 2009

Lars Riedel, Olympiasieger und fünffacher Weltmeister im Diskurswurf, äußert sich in einem sehr interessanten Interview, das Stefan Chatrath für das Magazin Novo-Argumente geführt hat, zum Dopingkontrollsystem in Deutschland: „Die Art und Weise der Kontrolle verstößt gegen die Menschenwürde.“ Er verweist auch auf das Datenschutzproblem, dass bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) sein „vollständiges Bewegungsprotokoll für die letzten acht Jahre“ gespeichert ist, zu dem auch die Adressen von Menschen gehören, die mit Sport nichts zu tun haben, mit denen Riedel aber in den letzten acht Jahren Kontakt hatte.

In dem Interview spricht sich der frühere deutsche Hammerwerfer Edwin Klein für die Freigabe von Dopingsubstanzen aus, was Riedel nicht tut. Riedel verweist vielmehr darauf, dass es andere, mit der Menschenwürde eher vereinbare Formen der Kontrolle geben könnte, etwa Haaranalysen, doch in die Richtung sei noch nicht geforscht worden.

Von dem Interview ist, soweit ich sehe, nur die erste Seite als PDF ins Netz gestellt: „Die Dopinghysterie verdirbt den Spaß am Sport.“ Die übrigen Antworten Riedels und Kleins muss man dann auf Papier nachlesen: Novo-Argumente Nr. 100.

doping, überwachung, staat

Samstag, April 25th, 2009

Einer der vielen heiklen Bereiche der Antidopingpraxis gerät derzeit (sehr zu Recht) in die Diskussion. Auf die Forderung, dass Sportler ihren Kontrolleuren immer und überall für Urintests, also quasi 24/7, zur Verfügung stehen sollen, gibt es Widerstand von gerade solchen Sportlern und Sportverbänden, die ökonomisch stark und unabhängig sind. Zu allem Überdruss müssen sich die Sportverbände und Nationalen Antidoping-Agenturen gerade von Datenschützern und EU-Politikern etwas erklären lassen, dass so gar nicht in ihr Weltbild passt: dass nämlich Menschenrechte auch für Sportler gelten. Ein Text von Rolf-Günther Schulze und mir in der Jungle World dazu: Pioniere der totalen Überwachung. Und aus besagtem Anlass sei vielleicht noch mal auf unser Buch Wer macht den Sport kaputt? Doping, Kontrolle und Menschenwürde hingewiesen, dass doch von Woche zu Woche aktueller wird. 

hiv, doping und pressefreiheit

Sonntag, April 19th, 2009

In der heutigen FAS findet sich von Nils Minkmar ein kluger Text über den Fall einer 26-jährigen Sängerin, die mit HIV infiziert ist und, weil die Staatsanwaltschaft ihr vorwirft, beim ungeschützten Geschlechtsverkehr einen Mann infiziert zu haben, in Untersuchungshaft sitzt: Der Staatsanwalt in meinem Bett. Er beginnt so:

Am Dienstagnachmittag wurde ich von seriösen Medien unter Berufung auf eine deutsche Behörde über die schwere Erkrankung und das Sexualverhalten einer lebenden, mir persönlich nicht bekannten Frau unterrichtet, und zwar gegen deren Willen.Das ist neu: Nie zuvor wurden in so kurzer Zeit derart intime Informationen aus mehreren, die Menschenwürde betreffenden Bereichen über eine öffentlich bekannte Person ohne deren Mitwirkung publik.

Der Fall wäre auch dann schlimm, wenn er, wie Minkmar vermutet, neu wäre. Aber er selbst gibt ein Stichwort, dass es Vorbilder gibt:

Doch die öffentliche Diskursmaschine läuft nach solchen Informationen, gedopt mit all den Bildern und befeuert von der Privatmeinung, die jeder und jede sich über gecastete Girlbands gebildet hat, sofort auf allerhöchsten Touren. Schlichte Erschütterung oder Sorge kann da nicht mehr reichen, es muss mit voller Power gemutmaßt, gefordert und vor allem geforscht werden.

Erst jüngst wurde in Österreich, mit Unterstützung des Gesundheits- sowie des Verteidigungs- und Sportministeriums, eine Kampagne der Boulevardzeitung Kurier initiiert, die sich „Der gläserne Sportler“ nennt. Sportler berichten, selbstverständlich freiwillig und nur von den genannten Ministerien, der Nationalen Antidoping-Agentur  (Nada) und der österreichischen Öffentlichkeit dazu, sagen wir: motiviert, über alle Schritte, die sie unternehmen, und sie stellen sämtliche ärztlichen Daten, Blutwerte et cetera ins Netz.

Privatsphäre, informationelle Selbstbestimmung oder schlicht Schamgefühl finden nicht statt.

In der aktuellen Auseinandersetzung zwischen dem Weltfußballverband Fifa und der Welt Anti-Doping-Agentur (Wada) sagte der deutsche Nada-Vorsitzende, Armin Baumert gegenüber dem ZDF (ich zitiere nach Bild, da muss man ja vorsichtig sein):

Wenn dort Türchen geöffnet werden sollen durch Begriffe wie Privatsphäre, Urlaub oder Regeneration, dann müssen wir sagen, dann ist dieser Anti-Dopingkampf nicht mehr glaubwürdig.

Begriffe wie Privatsphäre oder Urlaub! Nils Minkmar schreibt im Falle der Girlband-Sängerin zu dem Umstand, dass die Öffentlichkeit von einer Staatsanwaltschaft über Infektion und Sexualverhalten einer jungen Frau informiert wurde:

Das Wissen, über das ich plötzlich und unerwartet verfügte, hätte ich aktiv nie erwerben können: Ein Journalist, der bei Ärzten anruft, um etwas über die Erkrankung einer bestimmten Patientin zu erfahren, ist ebenso seinen Job los, wie ein Arzt, der einen Journalisten anruft. Ausgesetzt wurde ich dieser informationellen Überdosis aber, wenn ich das richtig verstanden habe, zu meinem eigenen Schutz. Ui, ui, ui.

Auch hier gilt leider: Im Sport ist der Verlust dieser bürgerrechtlichen Selbstverständlichkeit schon eine Weile zu beklagen. Und dass er nun auch in weiteren Bereichen zu beklagen ist, dürfte damit zusammenhängen, dass er im Sport unter Beifall und Zugabe-Zugabe-Forderungen auch der linksliberalen Öffentlichkeit vollzogen wurde.

(Zu dem Thema findet sich in der nächsten Ausgabe der Jungle World, die am 23.4. erscheint, ein Text von Rolf-Günther Schulze und mir.)

„liberalisierende gedankenspiele“

Samstag, Oktober 18th, 2008

cover-dopingbuch.jpg Die heutige Frankfurter Allgemeine (18. Oktober) widmet sich dem Buch „Wer macht den Sport kaputt? Doping, Kontrolle und Menschenwürde“, das ich gemeinsam mit meinem Kollegen Rolf Schulze herausgegeben habe:

… kommen die heiklen Themen von unerwarteter Seite ins Spiel. Der Berliner Verbrecher Verlag beispielsweise hat in seinem (anlässlich der Olympischen Spiele in Peking erschienenen) Band „Wer macht den Sport kaputt?“ Autoren wie Hans Ulrich Gumbrecht, Hermann L. Gremliza und Diedrich Diederichsen zur Dopingfrage zu Wort kommen lassen. An unkonventionellen Perspektiven und Denkanstößen mangelt es in diesem Buch nicht, und vieles davon ist so anregend, dass die eine oder andere fahrlässige Argumentation – etwa in der Frage der Dopingfreigabe – zu verschmerzen ist.

Weiter heißt es in dem leider nicht online gestellten Beitrag von Christian Kamp:

Wer sich auf derlei liberalisierende Gedankenspiele gar nicht erst einlassen möchte,

der solle doch Ines Geipels Buch kaufen, das die FAZ grammatikalisch korrekt, aber zitatorisch unkorrekt als

Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft?

vorstellt; vom Verlag und der Autorin erhielt es den Titel

Wieviel Doping verträgt die Gesellschaft

mit falschem „wieviel“, aber dafür ohne das erforderliche Fragezeichen.